Hip Hop als postmodernes Schattenspiel

Lange Zeit galt das Genre des Hip Hop als Sammelbecken für Gewaltfantasien von unterprivilegierten Großstadtkindern, die sonst Drogen verkaufen würden. Das Moment der Selbstinszenierung im so genannten Gangsta-Rap wurde lange Zeit unterschätzt. Mit den ersten Mixtapes der Berliner Formation K.I.Z., welche die Gangsterpose gnadenlos überzeichneten, ist auch das Feuilleton darauf gekommen, das Genre differenzierter zu betrachten. Das wiederum führte dazu, dass das letzte Album der Frankfurter Rappers Haftbefehl, welches wiederum relativ plump eben die alten Gangsterklischees bedient, überschwänglich gefeiert und sogar in die Tradition des Dadaismus gestellt wurde. (Es lässt sich sicher darüber streiten, inwiefern die Stücke künstlerischen Anspruch haben und mit ihrem Kauderwelsch aus deutsch, kurdisch, türkisch und einigen weiteren Sprachen eine neue Kunstsprache in Stellung bringen.)

Über lange Strecken der Diskussion (bzw. dem Ausbleiben selbiger) wurden die verschiedenen Spielarten des Rap, welche sich nicht einer imitierten oder tatsächlichen Gangsterpose bedienen, geflissentlich ignoriert. Künstler wie Torch und Curse, die sich mit poetischer Hingabe Themen des Alltags widmen, gehören ebenso zum Hip Hop wie der Battle-Rap des frühen Samy Deluxe oder die Ganovenmusik von Aggro Berlin.

Zu den weniger stigmatisierten Künstlern des Rap gehört Dendemann, der 1997 als Teil des Duos Eins Zwo mit dem legendären „Pizza-Demo“ zu ersten Mal breitere Aufmerksamkeit erfahren hat (das vorherige Projekt Arme Ritter war eher mit spärlichem Erfolg bedacht). Seine Texte sind durchzogen von Wortspielen und durchdachten Reimen (er führte mit Samy Deluxe sogar zeitweise eine Reimkartei, in der nahezu jeder Reim verzeichnet war; wenn er bereits „gekickt“ wurde, konnte er nicht mehr verwendet werden). Trotz des hohen textlichen Niveaus und der technischen Finesse, die DJ Rabauke auf die Beats verwendete, blieb dem Duo nur eine Bekanntheit innerhalb der Hip-Hop-Szene beschieden.

Im Track „Rechte Dritter“, welcher sich auf dem zweiten Album von Eins Zwo findet, reflektiert Dendemann die Entstehungsbedingungen von Hip-Hop-Beats vor dem Hintergrund von Urheberrechtsstreitigkeiten:

„Was wir machen lebt von Zitaten
doch hält sich trotz kleinerer Kunst
keiner von uns für’n Piraten“.

Dass sich dieses auf die Instrumentalisierung bezieht, wird in den darauffolgenden Versen deutlich:

„Denn Schallplatten sind Schatzkarten
auf denen wir mit Nadeln statt Klappspaten
nach Loops und Cuts graben“

Die weit verbreitete Auffassung, der Urheber habe die Hoheit über seine Schöpfung, erteilt Dendemann eine Absage: Die Enstehung eines Beats geschehe „ohne nen Plan zu haben vom Sinne des Erfinders“. 33 Jahre, nachdem Roland Barthes den Tod des Autors formuliert hat, aktualisiert ein deutscher Rapper diese Auffassung im Hinblick auf den Hip Hop.

Barthes Erkenntnis, ein Text sei ein „Geflecht von Zitaten“, scheint als Ausgangspunkt für die Lyrics des Lieds Lotta Songs, Bad Rhymes gedient zu haben, das auf der ersten Solo-EP Dendemanns zu finden ist: Dort wird der Text aus den Titeln vieler Eins-Zwo-Tracks zusammengestellt, sodass sich das Lied als Zitat der eigenen Dichtkunst bis dato verstehen lässt. Damit markiert Dendemann den Anfang seiner Solo-Karriere, die jedoch nicht ansatzlos beginnt, sondern auf vorhergehendem aufbaut.

Nach zwei Solo-Platten war es seit 2010 verhältnismäßig ruhig um den Rapper geworden. Als in einem Youtube-Video die Crew für die vergrößerte Late-Night-Show Neo Magazin vorgestellt wurde und Dendemann dabei als Kapellmeister eingeführt wurde, wurde im Internet schon sehnsüchtig nach einer deutschen Ausgabe der history of rap gerufen. Viele sahen sich in der Konstellation sehr an Late Night with Jimmy Fallon erinnert, deren Showband The Roots mit dem legendären Schlagzeuger Questlove sind und die zusammen mit Justin Timberlake eben mehrere kleine Abrisse der Rapgeschichte geliefert haben. Der oben erwähnte Haftbefehl war nicht beeindruckt von der Meldung sagte bei Facebook:

„Dendemann ist nicht Questlove“ (Quelle hier)

Lange Zeit sah es denn auch so aus, als ob Jan Böhmermann und Dendemann von dieser offensichtlichen Steilvorlage keinen Gebrauch machen würden. So wurden des Rappers Qualitäten in der Show zur Schau gestellt, aber vor Allem im Rahmen eines kurzen Raps, der meist ein aktuelles Thema hatte und nach dem Standup Böhmermanns gespielt wurde. Denkwürdig und zur Zeit der Bayreuther Festspiele einen View wert der Diss gegen Richard Wagner.

In der letzten Sendung vor der Sommerpause war es dann soweit: Die Spekulationen um eine deutsche Version der history of rap waren passé.

Hierbei wird das postmoderne Verweisgeflecht auf die Spitze getrieben: Nicht allein dass der Showmaster und sein Bandleader verschiedenste Songs des Deutschrap zum Besten geben (wobei Böhmermann einmal mehr sein Talent für Stimmimitationen unter Beweis stellt), im späteren Verlauf melden sich auch Figuren der deutschsprachigen Rapgeschichte zu Wort, die wiederum Werke anderer Künstler zitieren (u.a. ist der o.g. Curse mit dabei, die ebenfalls erwähnten K.I.Z. werden von Smudo intoniert). Wobei durch die Dichte der Zitate nicht nur eine Hommage gelungen ist, sondern auch die Frage sich stellt, ob und wie die Neuinterpretationen der Tracks einen künstlerischen Mehrwert bringen. Überdies wird der Zitatereigen von Cameo-Auftritten einiger Nicht-Rapper gekrönt.

Dass Böhmermann gern mit Metaebenen spielt, ist beim Varoufakis-Fakefakefake bereits zum Vorschein getreten. Mit einer deutschen Ausgabe der history of rap ist ihm eine echte Perle der Fernsehunterhaltung gelungen, das sowohl Hip-Hop-Heads als auch Kulturwissenschaftler zum Strahlen bringt.

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